Vom Älter werden

Je älter ich werde, desto mehr finde ich zu mir – und das fühlt sich gut an. Denn das war nicht immer so: früher konnte ich mich selbst nicht leiden, trieb ziellos durchs Leben, war egoistisch und verantwortungslos und wechselte Jobs ebenso häufig wie die Männer. Bis ich Mutter wurde und mein Leben sich schlagartig änderte. Nun war ich für einen kleinen Menschen verantwortlich und konnte nicht mehr davonlaufen – eine Tatsache, die ich anfangs durchaus gewöhnungsbedürftig fand! Es dauerte eine Weile, bis ich mich mit meiner neuen Rolle anfreundete und sich meine Prioritäten änderten. Weitere Jahre sollten vergehen, bis ich – nun Mutter zweier Kinder – endlich meine Berufung fand: das Schreiben. Oder anders gesagt: es dauerte, bis ich mir zutraute, mich dieser meiner Leidenschaft mit Haut und Haaren zu widmen.

Nun befinde ich mich in der Mitte meines Lebens – man könnte auch sagen, in den besten Jahren! Und bin glücklich wie nie zuvor. Ich sitze in einem Flieger nach New York, einer meiner Lieblingsstädte, um Berufliches mit Privatem zu verbinden: Ich werde über den Umweltplan der Stadt berichten und anschießend meine Schwester auf Long Island besuchen. Und in diesem Moment wird es mir wieder bewusst: je älter ich werde, umso besser wird mein Leben! Ich habe zwei wundervolle Kinder, einen Mann an meiner Seite, der seit nunmehr 11 Jahren zu mir steht, mit allen Höhen und Tiefen, und ich liebe meine Arbeit. Und das Wichtigste: ich habe gelernt, mich selbst zu lieben, mir zu vertrauen und auf meine innere Stimme zu hören. Was auch bedeutet, hin zu spüren, was mir gut tut und meinen eigenen Rhythmus zu finden. Als selbständige Journalistin ist das nicht immer leicht – mal ist mehr zu tun, mal weniger. Oft habe ich so viel Arbeit, dass ich kaum zum Verschnaufen komme und in solchen Zeiten fällt es mir schwer, zur Ruhe zu finden. Doch auch das gelingt mir immer besser: sobald ich merke, dass ich mich zu sehr anspanne, lege ich eine Pause ein, gehe eine Runde laufen oder lege meine Lieblingsmusik auf, um zu tanzen. Wenn ich merke, dass ich einen ganzen Tag Pause brauche, gönne ich mir auch den – in der Gewissheit, am nächsten Tag mit neuen Energien weiter arbeiten zu können. Denn das ist ja das Schöne an der Selbständigkeit und am Arbeiten von zuhause aus: ich kann mir meine Arbeit selbst einteilen und habe alle Freiheiten! Und die Freiheit, über mein Leben und meine Zeit selbst bestimmen zu können, ist mir das Allerwichtigste: Zeit für meine Kinder zu haben, für meinen Mann und nicht zuletzt für mich selbst.

Je bewusster ich lebe, desto mehr kann ich mich an Kleinigkeiten freuen: über eine Möwe, die mich ein Stück entlang meiner Laufstrecke an der Donau begleitet. Über ein paar Sonnenstrahlen an einem sonst wolkigen Tag. Wenn mein Sohn, der nun erwachsen wird, uns ein paar Minuten seiner Zeit schenkt. Oder der Moment, wenn meine Tochter sich vor dem Einschlafen an mich kuschelt und ihre Finger mit meinen verschränkt. Das sind Augenblicke, die so kostbar sind, dass ich sie in einem reich verzierten Schatzkästchen aufbewahren möchte – und solche Momente bewusst wahrzunehmen, tragen zum großen Glück in meinem Leben bei.

Es gibt natürlich auch die nicht so schönen Momente: Streitereien, Unpässlichkeiten, Tage an denen ich mich hilflos fühle angesichts der Schreckensmeldungen aus aller Welt. Doch auch solche Phasen gefühlter Unzulänglichkeit werden weniger. Zurück bleibt eine positive Grundstimmung und die Gewissheit, dass ich mein Leben selbst gestalten kann.

 

5 Antworten auf “Vom Älter werden”

  1. Ihren Artikel finde ich wunderbar und beispielhaft, zukunftshoffend für junge Leute die vielleicht noch nicht wissen wohin das Leben sie führt.
    Auch ich kann ihre Wahrnehmung nur voll und ganz bestätigen. In ein paar Jährchen werde ich 70 und finde ebenfalls, dass das Älter werden keinen Schrecken mit sich bringen muss, sondern Freude, Erfüllung, Zufriedenheit bringen kann. Sicher muss man auch ein bisserl etwas dafür tun. Einfach mal inne halten und horchen, was brauche ich, wie geht es den anderen mit mir, warum dieses, warum jenes und vor allem – nicht auf sich vergessen ohne das eigene Ego im Zaum zu haben.

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  2. Oh wie schön :-))) Mir geht es ähnlich! Letztens wurde ich sehr inspiriert von einer Aussage einer Freundin, die sagte: „Ich mag das nicht, wenn Leute sagen: Du siehst viel jünger aus als du bist. Ich darf so alt aussehen wie ich bin“. Meine Mutter sagt immer: „Wer nicht alt werden will muss jung sterben“. Dann kam noch ein Brigitte Woman Artikel dazu, ebenfalls über das Alter und dann fing ich an mich im Spiegel zu sehen und zu sagen: Hey, du bist 42, du darfst Falten haben, das ist OK (wobei ich ja sagen muss, dass ich was das betrifft wirklich gesegnet bin, aber der eigene Blick auf das Gesicht ist eben wie durch eine Lupe).
    Es ist tatsächlich erstaunlich, wie lange es dauern kann, sich selbst liebevoll und in Güte anzunehmen! Also mit sich statt gegen sich zu leben. Älter werden hilft dabei. Darüber hinaus hilft stetiges Üben von Dankbarkeit und Selbstannahme, denn beides kann man lernen.
    Wenn man schafft, sich sein zu lassen, wie man ist (was Entwicklung ganz und gar nicht ausschließt!) dann wird das Leben tatsächlich leichter, es fließt besser 🙂
    Liebe Grüße und danke für Deinen schönen Artikel,
    Olivia Wollinger – Expertin für das Ankommen im Körper

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