Muddi, Frau Mutter, Mami, alte Frau: das sind die Namen, die mir meine überaus einfallsreiche Tochter zur Zeit gibt. Ich versuche, ihre Stimmungen, die zwischen übermütig, distanziert, peinlich berührt und genervt schwanken, mit Humor zu nehmen und mich in Gelassenheit zu üben.
Wieder einmal ist Loslassen angesagt, diese schwierigste aller elterlichen Aufgaben. Es ist ein ständiger Balanceakt: Meine Tochter in ihrer Eigenständigkeit zu bestärken und ihr gleichzeitig zu vermitteln, dass ich immer für sie da bin, auch in ihren unzugänglichsten Zeiten. Zugleich ist dieses Mädchen mein größtes Vorbild: ihre Bereitschaft, sich für Dinge einzusetzen, die ihr wichtig sind, der unbedingte Wille, Schauspielerin zu werden. Ihr sonniges Gemüt und eine überschäumende Lebenslust. In den pubertären Höhen und Tiefen ist ihr großer Bruder Ruhepol und Anlaufstelle für alle wichtigen Fragen des Lebens. Wie diese zwei so unterschiedlichen jungen Menschen – der coole 18 jährige und die quirlige 12 jährige – in Zuneigung einander verbunden sind und ihre Späße miteinander treiben (mit Unflätigkeiten, die ich hier lieber nicht wiedergebe), wärmt mir das Herz.
Mein fast erwachsener Sohn, von dessen Vater ich getrennt lebe, beginnt nun, sich mit der Trennung seiner Eltern auseinander zu setzen – und ich habe mir vor langer Zeit geschworen, für alle Fragen und Vorwürfe offen zu sein, die da kommen mögen. Die Gespräche, die wir führen, sind bereichernd, bisweilen schmerzhaft – und immer auf Augenhöhe. Zu sehen, wie erwachsen und reif er geworden ist, selbstreflektiert und empathisch, zeigt mir, dass sein Vater und ich trotz Trennung nicht alles falsch gemacht haben können. Auch wenn mir manchmal schmerzhaft bewusst ist, dass meine Tochter, die mit beiden Eltern aufgewachsen ist, ihr Selbstbewusstsein mit einer Selbstverständlichkeit vor sich her trägt, die mein Sohn sich hart arbeiten musste.
Meine Kinder haben die Gabe, Emotionen aus mir heraus zu locken, die ich lieber verdrängen würde: Hilflosigkeit, Eifersucht, Wut, Trauer. Sie bringen mich zum Lachen und zum Weinen, berühren mich ganz und gar. Und sie erinnern mich immer wieder daran, dass Lieben gleichbedeutend ist mit Loslassen. Ich habe die Wahl, mich zu entscheiden, wie ich auf eine Situation reagiere, etwa wenn mein Sohn lieber mit seiner anderen Familie feiert als mit uns ein Wochenende zu verbringen. Bin ich beleidigt und mache ihm ein schlechtes Gewissen oder bestärke ich ihn in seiner Unabhängigkeit? Meist spüre ich es ganz deutlich: sobald ich die Situation akzeptiere, geht es nicht nur mir selbst, sondern auch dem anderen besser. Sobald wir manipulieren statt aufrichtige Liebe zu schenken, handeln wir egoistisch. Dann geht es scheinbar um das Wohl des Kindes, doch in Wahrheit übertragen wir die eigene Unsicherheit, die eigenen Befindlichkeiten auf den Nachwuchs. Ich habe viele Male Eltern erlebt, die ihre Ängste den Kindern überstülpten – und anwesenden Eltern und Kindern gleich dazu. Die Herausforderung besteht darin, Kinder in ihrer Eigenheit anzunehmen, selbst wenn sie gänzlich anders geraten sind als Mutter oder Vater. Das Schöne daran: wir können durch sie so viel über uns selbst lernen! Können darauf vertrauen, dass unsere Kinder ihren eigenen Weg finden werden – und immer wieder aufs Neue loslassen. Oder um es mit den Worten meiner Tochter zu sagen: „Chill‘ dein Leben.“