Auf der Straße tanzen

Dieses Foto ist eine Erinnerung an meine erste Reise durch Südamerika. Es war in Ecuador, ich war Mitte 20 und auf der Suche nach Abenteuern. Die Fahrt auf dem Dach eines Zuges, der mich von Quito nach Baños brachte, war das erste Highlight dieser Reise, dem noch viele weitere folgen sollten. Ich erinnere mich, dass einer der Dachpassagiere während der Fahrt seinen Hut verlor, der Zug daraufhin nach lautem Geschrei stoppte und ein Stück rückwärts fuhr. Der Mann kletterte hinunter, klaubte seinen Hut auf und stieg wieder aufs Dach, bevor der Zug weiterfuhr.

Diese Aufnahme ist für mich der Inbegriff von Leichtigkeit und Unbeschwertheit. In letzter Zeit ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich das Bild sehnsüchtig betrachte (es ist eines von mehreren Reisefotos, die in meinem Arbeitszimmer hängen). Es erinnert mich an eine Zeit, in der ich sorglos durchs Leben steuerte und an ein Land, in dem die Menschen auf den Straßen tanzten und Musik in jedem öffentlichen Verkehrsmittel zu hören war (die übrigens nie den Fahrplan einhielten). Ein Land, das den Begriff Buen Vivir (gutes Leben) in seine Verfassung geschrieben hat.

Manchmal frage ich mich, warum es in unseren Breiten so schwierig zu sein scheint, mehr Entspanntheit in unseren Alltag zu bringen. Viele hetzen verbissen durchs Leben, alles dreht sich um materielle Werte. Manchmal sehne ich mich zurück nach jener Leichtigkeit, die mich auf meinen Reisen begleitete – und die ich am häufigsten in Ländern verspürte, die nach unseren Maßstäben arm sind. Auch heute noch fühle ich mich oft wie ein anderer Mensch, wenn ich unterwegs bin. Wie schön wäre es, diesen Zustand in mein alltägliches Leben zu transportieren und mir ein Stück Buen Vivir nachhause zu holen! Ich werde gleich morgen auf der Straße tanzen.

7 Antworten auf “Auf der Straße tanzen”

  1. Wunderschöner Text! Kennst du Lynne Twist? Die Autorin von „the Soul of Money“? Wenn nicht musst du dir unbedingt einmal ein Video von ihr anschauen auf YouTube, sie sag genau das gleiche über „Armut“ „Reichtum“.,.. Alles liebe Christina

    Von meinem iPhone gesendet

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  2. Hast du es geschafft, auf der Straße zu tanzen? Leichtigkeit in unsere Gesellschaft zu verankern, dürfte genauso schwierig sein, wie durchgreifenden Klimaschutz einzuführen.

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  3. Ja, I feel you, baby. Ich singe manchmal in der Arbeit (oder am Klo). Mein Zukunftsziel ist, in einer Kleinstadt zu leben und einen Garten zu haben, und viele gute Nachbarn, und zu Gemeinschaftstaenzen zu gehen. Ich denke schon, dass man sich ein gutes Leben hier schaffen kann.

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