Aussöhnung mit der Vergangenheit

Jeder Mensch trägt einen Rucksack mit Ereignissen aus der Vergangenheit mit sich herum. Eine liebe Bekannte, die mir durch ihr (scheinbar) übertriebenes Gesundheitsbewusstsein auffiel, hat mir neulich ihre Geschichte erzählt. Von einem gewalttätigen Vater und einer lieblosen Mutter, von Knochenbrüchen und Schlägen, die dazu führten, dass sie auf einem Ohr taub ist. Sie erzählte mir, dass sie in jungen Jahren als Folge der Gewalt schwer erkrankte und danach beschloss, alles zu tun, um – körperlich und seelisch – gesund zu werden und zu bleiben. Meine Bekannte arbeitet heute als Ärztin und Psychotherapeutin, um anderen Menschen zu helfen, und lebt in einer liebevollen Beziehung. Mir wurde bewusst, wie leicht es ist, über andere zu urteilen, von deren Vergangenheit wir nichts wissen. Und ich empfinde große Hochachtung für diese Frau, die alles tut, um sich mit ihrer Vergangenheit auszusöhnen. Die sich Hilfe holt, wenn ihre inneren Dämonen übermächtig werden.

Ich denke an meine Eltern, die im Krieg geboren wurden und von deren Geschichten ich nur Bruchstücke kenne: der Vater knapp einem Bombardement seines Elternhauses entronnen, die Mutter zu Kriegsende mit den Eltern auf der Flucht. Mein Vater, der zeit seines Lebens keine Gefühle zulassen konnte und kaum anwesend war, meine Mutter, die mit lauten Kindern überfordert war.

Und je mehr ich mich mit Trauma beschäftige, desto klarer wird mir, dass wir alle auf die eine oder andere Weise davon betroffen sind. Die Nachfahren der Kriegsgeneration haben die Traumata der Eltern und Großeltern übernommen. Besonders geholfen hat mir bei dieser Erkenntnis das Buch „Kriegserbe in der Seele. Was Kindern und Enkeln der Kriegsgeneration wirklich hilft“ von Udo Baer und Gabriele Frick-Baer, zwei Traumatherapeuten. Sie schreiben über Ängste, Schuldgefühle, innere Leere oder Leistungsdruck als Folge von Kriegstraumata. Beschreiben (unausgesprochene) Aufforderungen wie „Stell dich nicht so an“, die viele meiner Generation kennen.

Vielleicht geht es jetzt darum, ein kollektives Trauma zu heilen. Vielleicht müssen einige Menschen jetzt voran gehen, die bereit sind, in die Tiefe zu gehen und ihre Wunden zu versorgen. Womöglich geht es darum, uns dieser Verantwortung und unserer Vergangenheit zu stellen – damit Heilung möglich wird.

Dem Leben vertrauen

Nun ist es soweit: Nachdem ich alle Zelte in meiner Heimatstadt abgebrochen habe, wird sich zeigen, was die Zukunft bringt. Den Sommer verbringe ich in meinem geliebten Salzkammergut und ab Herbst geht es auf Wanderschaft. Ich habe ein paar Ideen und Kontakte, aber wenige fixe Pläne.

Viele Reaktionen auf mein Vorhaben zeigen mir die vorherrschende Unsicherheit: Machen das nicht nur junge Leute? Oder auch: Bist du dafür nicht zu alt? Was ist mit deinen Kindern, Freunden, Eltern? Wie geht sich das finanziell aus? Aus manchen Fragen, in denen ein versteckter Vorwurf mitschwingt, höre ich heraus: Ängste und Unzufriedenheit, ein nicht gelebtes Leben.

Meine Antworten lauten: Ich bin kein Sicherheitsmensch, habe kein Bedürfnis, mich gegen alles mögliche abzusichern, wie es in unserer Gesellschaft üblich ist. Ich habe nie großen Wert auf einen fixen Job mit sicherem Einkommen gelegt. Und dennoch ist sich in meinem Leben immer alles ausgegangen.

Ich habe mir eine berufliche Basis geschaffen, die es mir erlaubt, überall zu arbeiten und mir meine Zeit frei einzuteilen. Ich habe vor, ein Buch über meine Erfahrungen zu schreiben und damit meine zwei größten Leidenschaften zu verbinden: Reisen und Schreiben.

Ich werde Alternativen zu unserem Geldsystem ausprobieren: Wohnen gegen Mithilfe, Wwoofen, schauen, was sich ergibt.

Ich habe gelernt, meiner inneren Stimme zu vertrauen. Ich denke nicht darüber nach, was vielleicht in ein paar Monaten sein wird, sondern konzentriere mich auf den jetzigen Moment.

Meine Gegenfragen lauten: Die Zeiten sind unsicherer denn je, was habe ich zu verlieren? Wir können nicht weitermachen wie bisher, also warum nicht etwas Neues wagen, vielleicht gemeinsam mit Gleichgesinnten?

Das Schöne ist: seit ich diese Idee geboren habe, tauchen Menschen und Projekte auf, bekomme ich Angebote, die etwas in mir zum Schwingen bringen. Mein Ziel ist es, Menschen und Orte zu finden, die meine Seele berühren. Vielleicht den Ort zu finden, an dem ich mich niederlassen möchte. Und dem Leben zu vertrauen.

Was braucht es für ein gutes Leben?

Vor mehr als zehn Jahren entschloss ich mich nach langer Suche dazu, mich als Journalistin selbständig zu machen. Der Beginn meiner Laufbahn war nicht leicht, doch sobald ich mich dafür entschieden hatte, kniete ich mich rein. Ich spezialisierte mich auf die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit, schrieb mein erstes Buch, hatte damit Erfolg. Bald wurde ich als Nachhaltigkeitsexpertin gehandelt. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt, ich wollte noch erfolgreicher sein. Da die durchschnittlichen Honorare im Journalismus nicht gerade berauschend sind (von einigen Ausnahmen abgesehen, für die ich sehr dankbar bin), musste ich dementsprechend viel arbeiten, um über die Runden zu kommen. Ich wollte aber auch für meine Familie und vor allem für meine Kinder da sein. Zum Glück hatte ich einen – ebenfalls selbständigen – Mann, der mich auf allen Ebenen unterstützte. Das ging einige Jahre gut, bis sich erste Erschöpfungsanzeichen bemerkbar machten. Ich war in ein Alter gekommen, in dem ich nicht mehr uneingeschränkt belastbar war.

Während der Jahre hat sich meine Einstellung zu Erfolg und auch zu materieller Fülle verändert. Durch meine Arbeit habe ich zu viel über die Auswirkungen unseres Konsums oder die Nachteile unseres Wirtschafts- und Finanzsystems gelernt, um weiterzumachen wie bisher. Ich stellte fest, dass ich nur sehr wenig brauche, um zufrieden zu sein – ja, dass die Dinge, die mich am glücklichsten machen, nicht materieller Natur sind. Heute kaufe ich nur mehr sehr wenig, vieles gebraucht, tausche und teile lieber. Und schließe mich mit Menschen zusammen, die ähnlich denken.

Die Corona-Krise, in der vieles plötzlich nicht mehr möglich war und auch die Aufträge zurückgingen, hat mir dann endgültig die Augen geöffnet. Zu sehen, dass gerade in dieser schwierigen Zeit die Schwerreichen profitierten und die Schere zwischen Arm und Reich noch mehr auseinanderging, machte etwas mit mir. Heute arbeite ich weniger und wähle meine Auftraggeber sehr bewusst aus. Ich denke viel darüber nach, wie und wo ich leben möchte und werde mich zu diesem Zweck auf eine Reise begeben – und meine Erfahrungen in einem Buch festhalten. Eine wichtige Frage wird sein: Wie viel Geld brauche ich für ein gutes Leben?

Erfolg bedeutet für mich nicht mehr, viel Geld zu verdienen, sondern für meine Werte einzustehen. Ich schreibe in meinen Blogs unentgeltlich, weil es mir ein Anliegen ist, Menschen Mut zu machen oder vielleicht auch zum Nachdenken anzuregen – und es kommt so viel zurück, was mit Geld nicht aufzuwiegen ist.

Zwischenwelten

Nach allem, was in den vergangenen Monaten und Jahren geschehen ist, merke ich, wie müde ich bin, so müde. Ich habe permanent das Gefühl, in einem Zwischenraum festzustecken, zwischen Alt und Neu. Das Alte nimmt Abschied, aber das Neue lässt noch auf sich warten. Vieles macht mich gerade traurig, meine gescheiterte Beziehung, die vielen Baustellen weltweit, wie Menschen miteinander umgehen. Die allgemeine Verunsicherung, was die Zukunft bringen wird.

Ich habe eine entzückende kleine Wohnung am Stadtrand gefunden, mit Zugang zu einem Garten und einer Eibe vor meinem Fenster und den besten Nachbarn, die man sich vorstellen kann. Und dennoch fühle ich mich hier (noch) nicht angekommen, weiß nicht, wie lange ich bleiben werde. Es zieht mich mehr denn je hinaus aus der Stadt, vielleicht auch aus dem Land. Die Natur spiegelt diesen Schwebezustand wieder, vor meinem Fenster machen sich Kohlmeisen und Buchfinken zu schaffen, die Schneeglöckchen stecken ihre Köpfe heraus. Der Frühling zeigt sich zaghaft – und dennoch lauert der Winter noch hinter jeder Ecke.

In den letzten Tagen haben mich immer wieder diffuse Kopfschmerzen geplagt, die mir zeigen, dass ich auf mich achten muss. Gestern war der Druck in meinem Kopf wieder da und ich setzte mich dennoch pflichtbewusst an den Laptop – nur um ihn wenig später wieder zuzuklappen. Ich beschloss, mir einen freien Tag zu nehmen, etwas für mich zu tun. Ging (endlich) zum Friseur, blödelte mit meiner Tochter herum, die es wieder einmal schaffte, mich zum Lachen zu bringen – was das Kopfweh kurz verschwinden ließ. Danach hörte ich mir Entspannungsmusik an und machte mir einen Mädesüß-Weidenrinden-Tee – am Abend waren die Kopfschmerzen weg.

Heute ist die Müdigkeit da und ich bin gerade sehr froh über meine Selbständigkeit, die es mir erlaubt, mir meine Zeit frei einzuteilen. Gehe in den Wald, wie fast immer, wenn meine Energien schwinden und setze mich zu einem Baum. Lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen und lausche dem Rauschen der Bäume im Wind. Ich bin dankbar dafür, dass ich im Laufe der Jahre gelernt habe, gut für mich zu sorgen und auf die Signale meines Körpers zu achten. Meinen Gefühlen nachzugeben und die Traurigkeit zuzulassen, statt mich sofort abzulenken – auch wenn das nicht immer einfach ist. Und so gönne ich mir eine Pause von den Turbulenzen da draußen und gehe einen Schritt nach dem anderen, in eine neue Zeit.

Vertrauen

Ich werde oft gefragt, woher ich meine Zuversicht und mein Vertrauen ins Leben nehme. Dafür muss ich ein wenig ausholen.

Schon als Kind tat ich die waghalsigsten Dinge, sprang im Schwimmbad vom 10 Meter-Turm oder raste beim Schifahren die Hänge im Abfahrtsstil hinunter. Später reiste ich, oft alleine, durch die Welt, immer im Vertrauen darauf, dass mir nichts passieren würde – und so war es. Man könnte es auch Sorglosigkeit nennen, doch mit der Geburt meines ersten Kindes wandelte sich diese Sorglosigkeit in Verantwortung, gepaart mit Vertrauen. Ich war eine Mutter, die ihren Kindern alles zutraute, was sie sich selbst zutrauten, und noch mehr.

Das mag daran liegen, dass ich selbst als jüngstes von drei Geschwistern schon früh auf mich gestellt war. Meine Mutter begann zu arbeiten, als ich im Kindergarten war – in den 70ern nicht selbstverständlich. Ich erinnere mich an eine Situation, ich muss sechs oder sieben gewesen sein, als ich alleine mit der Straßenbahn zur Schule fuhr. Ich verpasste die Station, bei der ich aussteigen sollte, und begann verzweifelt zu weinen. Eine ältere Frau nahm mich bei der Hand, stieg mit mir bei der nächsten Station aus und wir gingen gemeinsam den ganzen Weg zurück zur Schule. Hin und wieder kam es vor, dass ich abends alleine zuhause war, dann fürchtete ich mich vor den dunklen Zimmern in der großen Wohnung. Schon damals mit einer reichen Fantasie ausgestattet, vermutete ich dort böse Geister, die auf mich lauerten. Eines Abends, ich war wieder alleine, begann in unserer Küche eine Aufzieh-Spieluhr plötzlich wie von Geisterhand zu spielen und jagte mir einen gehörigen Schrecken ein. In diesem Moment entschloss ich mich dazu, an gute Geister zu glauben. Denn ein Geist, der solchen Schabernack mit mir trieb, musste ein humorvolles Wesen sein. Ich stellte mir eine lustige Alte vor, die mir da drüben einen Streich spielte und herzhaft darüber lachte. Danach war ich beruhigt und hatte fortan keine Angst mehr, wenn ich alleine war.

An dieser Stelle höre ich die Kritiker sagen: Wie verantwortungslos von den Eltern, das Kind alleine zu lassen (man bedenke: es gab noch keine Handys)! Ein Kinderschänder hätte mich entführen können! Das sind jene, die überall Gefahr wittern und immer vom Schlimmsten ausgehen. Ich dagegen bin überzeugt davon, dass es auf diesem Planeten mehr freundliche Menschen gibt als solche, die uns Böses wollen (auch wenn die Medien uns anderes weismachen wollen).

Meine Eltern hatten offensichtlich Vertrauen in mich, sie trauten mir zu, alleine zu bleiben. Das hat letztendlich dazu geführt, dass ich bis heute sehr gut mit mir alleine sein kann. Mit meinen Kindern habe ich es ähnlich gehalten, hatte immer großes Vertrauen in sie und ihre Fähigkeiten. Sie waren früh selbständig und wussten sich selbst zu helfen. Die Erfahrungen meiner Kindheit haben dazu geführt, dass ich in anderen Menschen lieber das Gute sehe, als ihnen zu misstrauen. Und auch wenn ich in meinem Erwachsenenleben einige schmerzhafte Erfahrungen machen musste, habe ich heute ein tiefes Vertrauen ins Leben. Diese Einstellung kam nicht von heute auf morgen. Ich habe sie mir erarbeitet, habe gelernt, mich auf positive Entwicklungen zu konzentrieren statt auf das, was schief läuft. Ich gehe davon aus, dass alles, was weltweit geschieht, einen Sinn hat und Teil einer größeren Entwicklung ist. Und übernehme zugleich Verantwortung dafür, meinen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten.

Die Welt von morgen

Unser Planet steckt in einer tiefen Krise, wir haben uns von der Natur entfernt. Klimawandel und Umweltzerstörung schreiten immer weiter voran. Ein männlich geprägtes, technokratisches Weltbild und eine wachstumsgetriebene Wirtschaft haben  uns an den Rand des Abgrunds geführt. Es wird nun Zeit, uns für neue Wege zu öffnen und zurück zu einer Verbindung mit der Natur – und mit unseren Mitmenschen – zu finden. Visionäre und Gemeinschaften weltweit verfolgen bereits einen ganzheitlichen Ansatz, sie gestalten den Wandel mit. In dieser herausfordernden Zeit sind ihre Stimmen wertvoller denn je.

In meinem nächsten Buch möchte ich zeigen, dass es viele Lösungen bereits gibt. Es soll Wege aufzeigen, wie wir die Verbundenheit mit der Natur wiederfinden und wie eine Wirtschaft von morgen aussehen könnte. Dafür möchte ich mit inspirierenden Menschen sprechen und mir zukunftsweisende Projekte ansehen. Und ich werde Costa Rica und Schweden besuchen, zwei Länder, die nicht nur Vorreiter beim Umwelt- und Klimaschutz sind, sondern auch in anderen Bereichen neue Wege gehen: Costa Rica hat bereits 1948 das Militär abgeschafft, um das Geld in Bildung und Gesundheit zu investieren; in Schweden wird eigenverantwortliches Denken schon in der Schule gefördert. In beiden Ländern wird die Bevölkerung beim Naturschutz mit einbezogen. Zur Finanzierung meiner Reise habe ich ein Crowdfunding gestartet – und freue mich über Unterstützung.

Man kann Dinge niemals verändern,
indem man die bereits existierende Realität bekämpft.
Wenn du etwas verändern willst, erschaffe ein neues Modell,
welches das vorhandene obsolet macht und ersetzt.
Buckminster Fuller

Eine andere Welt ist möglich

Wir erleben gerade den Übergang in ein neues Zeitalter. Der Weg dorthin ist holprig und von Hindernissen geprägt, doch je mehr von uns an diese neue Welt glauben und sich für ihr Gelingen einsetzen, desto eher wird sie Wirklichkeit werden.

Ich träume von einer Welt, in der ..

..die Menschen in Frieden miteinander leben

..Kooperation statt Konkurrenz gelebt wird

..bereits Kinder lernen, sich selbst wertzuschätzen

..Frauen sich ihrer inneren Stärke besinnen

..jeder Mensch seine Talente ausleben kann

..Kinder lernen, ihrem Herzen zu folgen

..wir sorgsam mit Ressourcen umgehen –

mit den eigenen und denen des Planeten

..Werte wie Selbstfürsorge und Achtsamkeit gelebt werden

..der Mensch als Einheit von Körper, Geist und Seele betrachtet wird

..an den Schulen Herzensbildung gelehrt wird und soziale Verantwortung

..das Sein vor dem Haben steht

..alle Menschen genug zu essen haben

..Konsum nebenrangig ist

..Arbeitskräfte fair bezahlt werden

..wir in Verbundenheit mit der Natur leben

..Tiere als gleichwertige Wesen behandelt werden

..Menschen sich als mündige Bürger sehen

..das Geld gerecht unter allen Menschen verteilt ist

..wir ausgelassen das Leben feiern.

Ich bin aus tiefstem Herzen überzeugt, dass diese Welt möglich ist.

Bild: Unsplash/Robert Collins

Zeit der Veränderung

Es ist ein glasklarer Morgen, die schneebedeckten Berggipfel heben sich gestochen scharf vom blauen Himmel ab. Weiter unten hängt noch der Frühnebel, Reif liegt auf den Wiesen. Nachbarskater Jimmy sitzt mitten auf dem Trampolin in unserem Garten und sieht mir mit stoischer Gelassenheit entgegen. Ich gehe in den Wald, um mich schweren Herzens von meiner zweiten Heimat zu verabschieden. Nur die Gewissheit, bald wiederkommen zu können, lässt mich den Weg nach Wien und zu meiner Familie antreten.

Je lauter und dichter die Energien da draußen, desto mehr sehne ich mich nach Natur. Je länger dieser ungewisse Zustand anhält, desto mehr ziehe ich mich zurück. In der Natur fällt es mir leichter, die täglichen Nachrichten auszublenden und abzuschalten. Wenn ich im Wald oder am Wasser bin (noch besser: beides), werde ich innerlich ganz ruhig; hier schöpfe ich Kraft für meine Arbeit. Darauf hinzuweisen, was gerade schief läuft, Missstände aufzuzeigen, treibt mich an – und zugleich mögliche Lösungen zu finden. Immer klarer wird nun, dass ich mich nicht länger den destruktiven Energien da draußen widmen will, sondern meine Aufmerksamkeit darauf richte, wie wir am besten durch diese Krise kommen – und wie es danach weitergeht. Wir befinden uns in einem Wandlungsprozess und das alte Denken verliert mehr und mehr an Kraft, neue Wege und Lösungen tun sich auf. In der Natur gelingt es mir am besten, darauf zu vertrauen, dass wir auf dem richtigen Weg sind – auch wenn dieser voll von Hindernissen und Stolpersteinen ist.

In gleichem Maße wie draußen die Transformation stattfindet, verändere ich mich in meinem Inneren. Ich bin empfindsamer geworden, nehme die Energien von den Menschen um mich wahr. Unachtsamkeit oder groben Humor kann ich nur noch schwer ertragen. Schon die kleinste Andeutung von Brutalität oder Grausamkeit in Büchern und Filmen setzt mir zu. Ich bin auf der Suche nach Wahrhaftigkeit; Zynismus, der mir früher allzu schnell über die Lippen kam, ist mir fremd geworden. Die Sehnsucht nach einem Leben in Verbundenheit mit der Natur wächst, jeder achtlos weggeworfene Zigarettenstummel am Wegrand schmerzt. Ich esse kein Fleisch mehr, trinke kaum noch Alkohol, weil ich spüre, dass es meinem Körper nicht gut tut. Ich streite mit meinem Mann wegen jedem weggeworfenen Essensrest, Lebensmittelverschwendung erscheint mir angesichts des Zustands unseres Planeten wie ein Verbrechen.

In der Stadt, umgeben von Beton und Autos, fühle ich mich zunehmend verloren. Ich spüre nun immer stärker, dass ich meine innere Stimme nicht länger ignorieren will, die mir laut und deutlich sagt, dass ich die Stadt hinter mir lassen muss. Doch wie kann ich die Sehnsucht nach einem Leben in der Natur mit meiner Familie vereinbaren, die das Stadtleben genießt? Dieser Zwiespalt ist mir nicht neu: hier die Familie und mein Zuhause, dort meine Sehnsucht nach einem ungebundenen Lebensstil. Beides ist mir lieb und teuer. Es mag das Erbe meines Vaters sein, der Zeit seines Lebens von einer Rastlosigkeit getrieben war, die ihn schwer greifbar machte. Der monatelang im Ausland arbeitete und, wenn er zuhause war, kaum anwesend schien.

Dieses Erbe hat jedoch auch den Wunsch in mir gestärkt, die Zeit mit meinen Kindern sehr bewusst zu verbringen. Momente wie jene zu genießen, wenn meine Tochter zur Gitarre greift und ihre Lieblingssongs singt. Mit ihr darüber zu reden, was mich und sie beschäftigt, auf Augenhöhe. Auch wenn ich meinen erwachsenen Sohn treffe, sind unsere Gespräche lang und intensiv. Beide sind es von früher Kindheit an gewöhnt, ihre Mutter nicht ständig um sich zu haben. Beide haben fürsorgliche Väter und ein starkes soziales Netz. Bleibt die Beziehung zu meinem Mann, der sein Zuhause in der Stadt nicht einfach aufgeben möchte, hier seine Shiatsu-Praxis hat. Auch mit ihm rede ich viel und oft darüber, wie unsere Zukunft aussehen mag. Vieles steht gerade in den Sternen, und in diesem Jahr der Veränderung wird sich wohl noch einiges entscheiden. Und so pendle ich in immer kürzeren Abständen zwischen Stadt und Land, in der Gewissheit: Wenn ich auf meine innere Stimme höre und mir treu bleibe, wird sich der Rest fügen.

Wege aus der Angst

Das vergangene Jahr war von Angst und Unsicherheit geprägt: Vieles, was gerade passiert, lässt uns ratlos zurück und niemand weiß so genau, wie es weitergeht. Viele fürchten eine Ansteckung mit dem Virus oder sorgen sich um ihre Liebsten; andere sind mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die zunehmend autoritären Maßnahmen und manche gesellschaftliche Entwicklungen steigern die Verunsicherung. Wir leben in einer herausfordernen Zeit, soviel steht fest. Doch Angst hat uns auch früher schon begleitet: vor Krieg, Terror, Flüchtlingen, Wirtschaftskrisen oder eben Krankheiten. Sehr oft wird Angst von Medien geschürt.

Es ist nicht leicht, positiv und im Vertrauen zu leben, wenn die Medien ein Bild der Welt zeichnen, das sich in erster Linie um Krisen und Konflikte dreht. Denn tatsächlich gibt es zahlreiche positive Entwicklungen auf diesem Planeten, über die viel zu wenig berichtet wird. Stattdessen werden wir täglich mit negativen Nachrichten bombardiert. Der sogenannte konstruktive Journalismus macht es anders: Er wirft einen Blick über den Tellerrand und begibt sich auf die Suche nach Lösungsansätzen. Und ja, wie könnte es anders sein, ich selbst habe mich dieser Form des Journalismus verschrieben. 🙂 Das mag daran liegen, dass mich Lösungen immer schon mehr interessiert haben als Probleme.

In meinem Leben hat Angst bisher keine große Rolle gespielt: als Kind kletterte ich auf die höchsten Bäume, sprang im Schwimmbad vom Zehn Meter-Turm und fuhr Schi im Abfahrtsstil. Später reiste ich alleine durch die Welt und dachte nicht lange darüber nach, ob etwas gefährlich war. Ich kann nicht sagen, woher diese Furchtlosigkeit kommt, mir scheint ein gewisses Grundvertrauen ins Leben mitgegeben worden zu sein. Natürlich bin auch ich nicht frei von Ängsten, etwa vor gewissen Krabbeltieren. Mit zunehmendem Alter habe ich Höhenangst entwickelt und bekomme weiche Knie, wenn ich vor einem Abgrund stehe.

Die Sorglosigkeit, mit der ich früher durchs Leben gesteuert bin, hat sich im Laufe der Jahre gewandelt: Ich gehe nun achtsamer mit mir selbst um, habe Verantwortung übernommen, auch für meine Kinder. Ängstlicher bin ich dennoch nicht geworden. Doch Angst und Sorge scheint in unserer Gesellschaft allgegenwärtig zu sein. Ich kenne Menschen, die Situationen, vor denen sie sich fürchten, geradezu anziehen. Erklärungen dafür liefert die Quantenphysik oder der Buddhismus: Energie folgt der Aufmerksamkeit, Gedanken erschaffen die Wirklichkeit.

Was können wir also tun, um der Angst zu begegnen?

Ein guter Tipp ist, Nachrichten und Social Media nur in Maßen zu konsumieren. Wir müssen nicht täglich auf Corona-Zahlen starren und erfahren, welche Maßnahmen wo umgesetzt werden. Zermürbende Diskussionen und Machtkämpfe in sozialen Medien schwächen zusätzlich. Lieber gezielt Medien suchen, die sich auf positive bzw. konstruktive Nachrichten spezialisiert haben – die gibt es!

Was wir tun können, um wieder ins Vertrauen zu kommen, ist es, sich aktiv Dinge vor Augen zu halten, die positiv sind und sie jeden Abend aufzuschreiben. Eine „Dankbarkeitsliste“, die uns zeigt, was gut läuft in unserem Leben. Das können kleine Dinge sein wie eine Umarmung oder das Lächeln eines Fremden auf der Straße, aber natürlich auch größere Erfolge. Nach einigen Wochen verschiebt sich der Fokus erwiesenermaßen hin zum Positiven. Das bedeutet: es fällt dann viel leichter, die schönen Dinge des Lebens, die ja immer um uns sind, wahrzunehmen. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen, ich war früher ein Mensch, der viel kritisierte und sich gerne in der Opferrolle sah. Durch die regelmäßige „Dankbarkeitsübung“, die übrigens aus der Positiven Psychologie kommt, hat sich meine Wahrnehmung deutlich verändert, ich kann mich heute viel mehr an kleinen Dingen erfreuen.

Was mir auch hilft: mir zu überlegen, wofür diese Situation gerade gut ist, was ich daraus lernen kann – oder auch meine Kinder. Und mit ihnen darüber zu reden. Dabei nützt mir mein Zugang, dass alles im Leben einen Sinn hat – auch wenn er nicht immer sofort erkennbar ist. Viktor Frankl, Begründer der Logo- und Existenzanalyse („Und trotzdem Ja zum Leben sagen“) prägte eine Frage, die er sich selbst immer wieder gestellt hat: „Wofür ist das eine Gelegenheit?

Und wenn sie doch einmal hinterrücks auftaucht, die Angst, hilft es, tief und regelmäßig zu atmen. Oder auch zu mediteren – ich persönlich bevorzuge geführte Meditationen.

Oder: Dinge tun, die Freude bereiten. In unserer Gesellschaft ist es normal geworden, ständig unter Druck zu stehen und Stress zu haben. Wir gönnen uns viel zu wenig Gutes, nehmen uns zu wenig Zeit für uns. Was mir am meist hilft, ist Bewegung in Form von laufen, schwimmen oder tanzen (auch zuhause!). Ich singe für mein Leben gerne und liebe Waldspaziergänge. Die Kunst ist, sich immer wieder selbst daran zu erinnern, diese Dinge auch zu tun. Eine „Spaßliste“, die an einem gut sichtbaren Ort aufgehängt wird, kann dabei helfen. Und natürlich müssen wir es uns auch noch erlauben, gut zu uns zu sein. Das ist nicht immer so einfach, wenn man dazu erzogen wurde, Leistung zu erbringen und zu funktionieren. Aber hey, wir sind es wert, gut zu uns zu sein! Dieses Leistungsdenken führt auch dazu, dass wir Krankheiten und den Tod fürchten – denn wenn wir immer funktionieren müssen, ist die logische Folge, dass der Tod Versagen bedeutet. Der Coach und Autor Veit Lindau schreibt dazu: „Wir reagieren dann panisch auf Bedrohungen wie das Corona-Virus, wenn wir wissen, dass wir noch nicht voll gelebt haben…Die einzige Möglichkeit, die Angst vor dem Tod zu besiegen, ist, dich deiner Angst, voll zu leben, zu stellen.“

Letztendlich geht es darum, ein Leben zu leben, das unseren Talenten und Werten entspricht, und nicht eines, das dem gesellschaftlichen Druck nachgibt. Das ist vielleicht der schwierigste Teil, auch ich habe lange gebraucht, bis ich meinen Traum vom Schreiben umsetzte. Auf dem Weg dahin habe ich mir Hilfe in Form von Therapien und Coachings geholt. Tatsächlich hört der Weg zu sich selbst nie auf – so erscheint es mir manchmal. Wir können uns immer wieder fragen: Wie geht es mir gerade, was brauche ich, was könnte besser sein?

Gerade in dieser Krise, in der wir stecken, ist Angst eine schlechte Ratgeberin, sie verstärkt die Spaltung und führt zu Misstrauen anderen gegenüber. Der deutsche Hirnforscher Gerald Hüther sagt in einem Interview: „Das Leben ist immer gefährlich. Wir müssen die Unkontrollierbarkeit des Lebendigen annehmen. Erst wenn wir aufhören, alles kontrollieren und beherrschen zu wollen, sind wir frei.“ Das größte Paradox ist wohl, dass ständige Angst das Immunsystem schwächt und erst recht krank macht. Es liegt also an uns selbst, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und neue Wege zu gehen.

Innenschau

Nun ist er also da, der zweite Lockdown – und damit das nächste Kapitel in diesem Drama namens Corona. Auch wenn die Situation an das Frühjahr erinnert und nun wieder alles stillsteht, fühlt es sich doch anders an. Es sind mehr Menschen unterwegs, fast scheint es, als ob viele genug hätten von Vorschriften und Einschränkungen.

Die anfängliche Wut und das Gefühl der Hilflosigkeit wird abgelöst von dem Empfinden, dass dies alles für etwas gut sein muss. Habe ich mich im ersten Lockdown noch eingeschränkt und meiner Freiheit beraubt gefühlt, wächst nun die Erkenntnis: Es hat offensichtlich noch einmal diese Zuspitzung gebraucht, um endlich den anstehenden Wandel einzuleiten. Um begreiflich zu machen, dass wir nicht weitermachen können wie bisher. Und damit meine ich nicht nur den Umgang mit diesem Virus, sondern unser ganzes System – Gesundheit, Wirtschaft, Gesellschaft. Wir müssen aufhören, mutwillig unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören und einander zu bekriegen. Und wir brauchen eine neue, wertschätzende Beziehung zu Tieren. Denn die Zerstörung ihrer Lebensräume wie die fortschreitende Rodung von Wäldern hat erst dazu geführt, dass das Virus von einem Tier auf den Menschen überspringen konnte. Will heißen: Wir haben uns diese Pandemie selbst erschaffen.

Immer wieder war ich in den letzten Monaten am Rande der Erschöpfung, weil ich mir den Kopf zerbrach über die verschiedenen Aspekte dieser Krise und mir die gesellschaftliche Entwicklung Sorgen bereiteten. Ich verbrachte zu viel Zeit mit Diskussionen in sozialen Medien, rieb mich dabei auf. Ein Termin bei einer Energetikerin und regelmäßige Übungen halfen mir, wieder in meine Mitte zu kommen. Auch meine fünfzehnjährige Tochter kämpfte mit Erschöpfung und depressiven Verstimmungen. Im ersten Lockdown wurde sie zur Einzelgängerin, die sich in ihr Schneckenhaus verkroch und sich zu nichts mehr motivieren ließ. Erst die Schulpsychologin schaffte es, zu ihr durch zu dringen. Einmal mehr wurde mir klar, wie wichtig es ist, sich Hilfe von außen zu holen.

Wir entschlossen uns, den Sommerurlaub in Griechenland zu verbringen, auch unserer Tochter zuliebe, die sich das sehnlichst wünschte. Der Urlaub am Meer war das Beste, was wir in dieser Situation tun konnten und wir alle kehrten gestärkt zurück.

Seitdem hat es immer wieder Momente gegeben, in denen ich mit mir im Reinen war wie nie zuvor. In denen ich pures Glück spüre darüber am Leben zu sein, im Hier und jetzt verankert. Fast immer habe ich solche Momente in der Natur – am Wasser oder im Wald – und sie werden mehr.

Nun ist also wieder Rückzug angesagt und das fühlt sich in der dunklen, kalten Jahreszeit irgendwie auch richtig an. Immer öfter spüre ich, dass ich gerade dann, wenn es da draußen am lautesten ist, die Stille in mir selbst finden kann. Dass ich mich ganz bewusst ausklinken kann aus Diskussionen, die mich schwächen. Dennoch – und das mag auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirken – höre ich nicht auf, die Entscheidungen der Politiker zu hinterfragen. Dass die Schulen wieder geschlossen wurden, ist für mich der größte Skandal – und ich tue meine Meinung darüber auf unterschiedliche Weise kund.

Vielleicht können wir auch das gerade jetzt lernen: Dass wir nicht so ohnmächtig sind, wie es sich manchmal anfühlt. Dass wir keine Marionetten der Politik sind, sondern Verantwortung tragen, für uns selbst und für die Gesellschaft, in der wir leben. Vielleicht haben wir mehr Macht, als wir denken? Was, wenn wir nicht mehr bei allem mitspielen?

Wenn wir..

..aufhören, zu funktionieren und wieder besser für uns sorgen

..uns und unsere Kinder weniger unter Druck setzen, auch beim Homeschooling

..unseren Arbeitgebern kommunizieren, wenn wir überfordert sind

..Netzwerke gründen, um einander zu unterstützen

..aufhören, täglich negative Nachrichten zu konsumieren

..jeden Tags aufs Neue entscheiden, worauf wir unseren Fokus legen

in die Natur gehen statt unsere Zeit in Social Media tot zu schlagen

..für uns selbst entscheiden, was uns gut tut und was nicht

.. Dinge tun, die uns Freude bereiten

..uns immer wieder vor Augen halten, dass wir im Geiste frei sind..

…dann könnte es sein, dass wir merken, wie viel unserer Hand liegt.

Was uns jetzt helfen kann, ist ein spiritueller Zugang, die Gewissheit, dass wir alle im selben Boot sitzen. Dass wir in dieser Krise verbunden und Teil eines großen Ganzen sind – und dass alles, was jetzt passiert, der Beginn eines umfassenden Wandels ist. Nun wird uns vor Augen geführt, was wirklich zählt im Leben: Berührung, Nähe, Freunde und Familie. Jetzt sind wir gefordert, unsere Lebenskonzepte zu überdenken, herauszufinden, was wir uns wirklich wünschen vom Leben. Wir alle werden gerade unerbittlich mit unseren Schwächen konfrontiert.

Jetzt, wo das System im Umbruch ist, haben wir tatsächlich die Möglichkeit, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten. Wir entscheiden mit, wohin die Gesellschaft sich entwickelt. Wie soll unser Zusammenleben aussehen? Wollen wir weiterhin ein System, das Menschen und Ressourcen ausbeutet oder eines, das die Verbundenheit von Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt? Wir alle sind gefragt, einen Beitrag für eine Zukunft, die auch für unsere Kinder noch lebenswert ist, zu leisten. Denn, davon können wir ausgehen: Nichts wird bleiben, wie es war. Es liegt nun an uns, neue Wege zu gehen.

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