Abschied und Neubeginn

Seit einigen Monaten fühlt sich mein Leben wie ein einziger Abschied an: von meinem Leben mit Mann, Kind und Katze, von den Erwartungen an meine Beziehung, die sich nicht erfüllten. Von Lebensumständen, die sich am Ende nicht mehr richtig anfühlten. Und nun musste ich auch noch einem engen Familienmitglied Lebewohl sagen.

In manchen Bereichen war der Abschied endgültig, in manchen vollzieht er sich schrittweise. Meine Tochter wird nun erwachsen und muss sich von ihrer Mutter lösen. Und auch wenn es noch so sehr schmerzt, ist einmal mehr Loslassen gefragt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, sich vom mütterlichen Einfluss abzugrenzen und möchte ihr diesen Schritt leichter machen als er für mich war.

Ich verabschiede mich nun von meinem Leben in der Stadt, denn mit dem Herzen bin ich längst woanders. Es könnte auch ein – zumindest vorübergehender – Abschied von meinem seßhaften Leben werden. Reisen, eine Weile in einem anderen Land leben, Wohnen gegen Mithilfe – alles ist möglich, das Abenteuer ruft. Nach über zwanzig Jahren Leben mit Kindern ist nun die Zeit gekommen, loszuziehen – etwas, wovon ich mein ganzes Leben geträumt habe. Letztendlich ist es auch der Abschied von einem System, in dem ich mich schon lange nicht mehr wohlfühle.

Wenn mir das Herz schwer wird, denke ich daran, dass jeder Abschied auch ein Neubeginn ist. Wie Hermann Hesse in einem meiner Lieblingsgedichte schreibt:

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Stark und weich zugleich

Ich habe lange nicht verstanden, woher der Jugend- und Schönheitswahn in unserer Gesellschaft kommt. Warum es gerade für Frauen so schwer zu sein scheint, zu ihren Rundungen und Falten zu stehen. Ich hörte dann mitunter, dass ich es leicht hätte, da ich von Natur aus schlank bin und immer essen konnte, was ich wollte. Und dann werde ich meist auch noch um Jahre jünger geschätzt. Wie ungerecht.

Heute weiß ich: es ist ein Mittel unserer patriarchalischen Gesellschaft, Frauen klein zu halten. Attraktiv, dünn, am besten auch noch zurückhaltend und bescheiden – das wurde jahrzehntelang als Idealbild der Frau gesehen. Ich habe dieses Spiel lange mitgespielt, mein Selbstbewusstsein in erster Linie aus meinem Aussehen genährt. War in meinem Inneren unsicher, orientierungslos und wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Jetzt bin ich 53, und um nichts in der Welt würde ich meine Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gegen mein jüngeres Ich tauschen.

Auf der Suche nach mir selbst habe ich mich verloren und wieder gefunden. Habe die falschen Männer an mich rangelassen und schmerzhafte Trennungen erlebt. Zwei Kinder geboren, meinen Vater viel zu früh verloren. Habe jahrzehntelang eine Ur-Wut in mir getragen, die auch heute noch manchmal rauswill. Die Wut des kleinen Mädchens, das nicht gesehen wurde, und die ich lange nicht zeigen durfte. Große Teile meins Lebens habe ich mit Kämpfen verbracht. Kämpfen darum, in meinem So-Sein wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Das Streben um Unabhängigkeit von meiner Mutter, die Wut auf übergriffige Männer, Machtkämpfe in Beziehungen. Ich habe viele Energien mit diesen Kämpfen verschwendet, bis ich erkannte, dass sie sich erübrigen, wenn ich zu mir stehe. Dass ich stark und weich zugleich sein kann.

All diese Erfahrungen haben mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin – und wenn ich in den Spiegel schaue, mag ich, was ich sehe. Ich mag meine Fältchen – auch wenn es noch nicht viele sind – und nehme liebevoll zur Kenntnis, wie mein Körper sich im Laufe der Jahre verändert hat. Am meisten aber feiere ich die zunehmende Gelassenheit, die mit dem Älterwerden einhergeht. Dass ich gelernt habe, mich nicht nur auf meinen Verstand zu verlassen, sondern auch auf meine innere Stimme zu hören. Immer mehr bei mir anzukommen, zu meiner Meinung und meinen Unzulänglichkeiten zu stehen.

Ich glaube ja, dass es immer noch Männer gibt, die Angst vor starken Frauen haben, vor allem jene, die vom Patriarchat profitieren. Diese Ewiggestrigen können sich warm anziehen, denn nun ist die Zeit gekommen, da immer mehr Frauen in ihre Kraft kommen – ob jung oder alt.

P.S. Während ich diesen Text schreibe, steckt meine Tochter den Kopf zur Tür herein, um mir ein Lied vorzuspielen:

„I am woman, I am fearless

I am sexy, I am divine

I am unbeatable, I am creative

honey you can get in line

I am feminine, I am masculine

I am anything I want“

(„I am woman“, Emmy Meli)

In unsere Kraft kommen

Wir erleben es täglich: Frauen werden bewertet, herabgewürdigt, verurteilt, sehr oft wegen ihres Aussehens. Das Schlimme daran: Nicht nur Männer tun das, sondern auch andere Frauen. Dieses so typisch weibliche Gezänke und Hick-Hack sorgt dafür, dass wir einander klein machen und uns letztendlich selbst schwächen. Welcher Mann käme auf die Idee, abfällig über das Äußere eines Geschlechtsgenossen zu sprechen? Doch wir Frauen tun es, wieder und wieder. Es reicht nicht, dass manche Männer uns klein halten wollen, wir tun es gleich selbst. Wir stellen unser Licht unter den Scheffel, trauen uns zu wenig zu, halten uns mit unserer Meinung zurück, schlucken unsere Wut hinunter.
Wir beklagen uns darüber, dass Frauen weniger als Männer verdienen, tun aber zu wenig, um das zu ändern. Wenn es darum geht, ein besseres Gehalt auszuverhandeln oder die eigenen Stärken hervorzuheben, kneifen viele. Veranstalter von Talk Shows oder Podiumsdiskussionen beklagen immer wieder, dass angefragte Frauen eine Teilnahme ablehnen würden – mit der Begründung, nicht qualifiziert genug zu sein. Sei bescheiden, halte dich zurück – so sind Frauen meiner Generation erzogen worden. Ich selbst kenne dieses Verhaltensmuster nur zu gut, jahrelang habe ich mitgemacht, mich klein gemacht, habe mich mit wenig zufrieden gegeben, nur nicht aufmucken, immer lächeln.

Ich war eine jener Mütter, dich sich darüber beschweren, dass sie sich um Haushalt und Kinder kümmern müssen und dabei übersehen, dass die Väter von heute sehr gerne ihren Beitrag zur Kindererziehung leisten würden – wenn wir sie nur ließen. Denn wenn es um Kinder und Familie geht, fühlen wir Frauen uns stark. Wir haben sehr genaue Vorstellungen davon, wie unsere Kinder behandelt werden sollen, bloß decken sich die nicht immer mit denen der Väter. Also nörgeln wir an ihnen herum, wissen alles besser, bis ihnen die Lust am Kinderbetreuen vergeht (mein Mann ließ sich zum Glück nicht beirren, dafür bin ich ihm bis heute dankbar). Loslassen wäre gefragt, mehr Vertrauen in die Väter, die vieles ein wenig lockerer sehen als die Mütter. Das tut dem Kind gut, Kinder brauchen Väter, und wenn die anders agieren als die Mütter, umso besser. Die Zeit, die wir mit Nörgeln verbringen, könnten wir auch wunderbar für uns selbst nutzen, denn natürlich beschweren wir uns auch darüber, dass wir nie Zeit für irgendetwas haben – am wenigsten für uns selbst. Dabei wäre es so wichtig, gut für uns selbst zu sorgen, der Alltag mit Kind und Mann ist anstrengend genug. Aber wir glauben, dass wir stark sein und alles aushalten müssen, um in der Männerwelt bestehen zu können, wo nur starke Frauen etwas wert sind. Die gute Nachricht: Wir können stark und weich zugleich sein! Wir haben verlernt, auf unsere innere Stärke zu vertrauen und lassen uns stattdessen einreden, dass wir alles schaffen und dabei auch noch perfekt aussehen müssen. Währenddessen überlassen wir den Männern weiterhin das Regieren, das Entscheiden und sehen zu, wie sie ihre Kriege führen und die Welt in den Abgrund treiben.

Dass gerade eine Generation von jungen Frauen heranwächst, die sich auf die Füße stellt und es mit den alten (weißen) Männern aufnimmt – wie die Klimaaktivistin Greta Thunberg oder die US-amerikanische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez – stimmt mich froh. Ich bin ziemlich sicher, dass diese Frauen nie ein abfälliges Wort über eine andere Frau fallen lassen würden – sie sind zu beschäftigt damit, ihren eigenen Weg zu gehen.
Vielleicht bin ich auch deshalb ein so großer Fan von Greta Thunberg: Ich wäre selbst gerne so gewesen in diesem Alter, so unbeirrbar und tapfer, hätte gerne einen Vater gehabt, der mich in meinem So-Sein unterstützt (wie gesagt, Väter sind wichtig..). Immerhin habe ich gelernt, für mich einzustehen, mich für die Dinge einzusetzen, die mir etwas bedeuten, meine Meinung zu sagen und dazu zu stehen. Das hat zwar ein bisschen länger gedauert hat, aber, hey, es ist nie zu spät, oder?

P.S. Dieser Text klingt wütend? Mag sein. Ein wenig Wut tut uns Frauen gut.

Mädchenpower

Selbstbewusste Frauen haben es heute schwerer denn je. Unsere Töchter können wir stärken, indem wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und ihre Grenzen respektieren.

Die Zeiten sind für uns Frauen (noch) härter geworden. Je selbstsicherer wir werden und je mehr wir uns gegen männliche Übergriffe wehren, desto stärker wird der Gegenwind. Frauen, die sich zur Wehr setzen, werden mundtot gemacht, wie die Fälle Christine Blasey Ford oder Sigi Maurer zeigen.

Selbstbewusste Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen, sind zwar mehr geworden – doch sie sind immer noch in der Minderheit. Ich sehe eine unserer größten Aufgaben als Eltern daher darin, unseren Töchtern Stärke und Selbstsicherheit zu vermitteln. Das bedeutet, sie wert zu schätzen und sie in ihrer Persönlichkeit zu bestärken. Ich möchte meine Tochter ermutigen, im richtigen Moment Nein zu sagen und ihre Grenzen respektieren. Sie dabei unterstützen, ihren eigenen Weg zu gehen und sich selbst zu spüren. Und das gilt nicht nur für Töchter, sondern auch für unsere Söhne – denn ein gesundes Selbstwertgefühl ist der beste Weg zu einem respektvollen Umgang mit sich selbst und Anderen. Dazu braucht es allerdings auch Väter, die für ihre Kinder präsent sind und diese Eigenschaften vorleben. Ich bin froh, einen Mann an meiner Seite zu haben, der unseren Kindern in vielerlei Hinsicht Vorbild ist.

Dass Frauen alleine wegen ihres Frau-Seins herab gewürdigt und belästigt werden, musste ich in jungen Jahren schmerzlich erfahren. Mein Selbstwertgefühl erarbeitete ich mir schrittweise, meine Familie war dabei keine Hilfe. Ich wuchs in dem Glauben auf, Bescheidenheit und Zurückhaltung seien erstrebenswerte Tugenden, lernte, dass andere Meinungen mehr zählten als meine eigene – besonders die von Männern. Doch in dem Maße, in dem mein Selbstwertgefühl wuchs, taten sich ungeahnte Möglichkeiten auf, gleichzeitig nahmen Grenzüberschreitungen von männlicher Seite ab. Indem ich lernte, mich selbst zu lieben, wuchs auch der Respekt der Männer (und Frauen) in meiner Umgebung.

Ich möchte es meiner Tochter leichter machen, möchte ihr den Kampf ersparen, den ich jahrelang geführt habe – gegen mich selbst und gegen Männer, die mich nicht wertschätzten. Daher ist es mir ein Herzensanliegen, meine Lebenserfahrung an sie weiter zu geben, sie in ihrem So-Sein zu bestärken – gerade auch, weil ihr Naturell sich von meinem grundlegend unterscheidet. Und wenn ich sie heute mit ihren vierzehn Jahren sehe, ihre unbändige Lebenslust, ihre kämpferische Natur und den Willen, alles zu erreichen, was sie sich vorgenommen hat, spüre ich, dass wir zwei auf einem guten Weg sind.

Die Kraft der Frauen

„Männer sind Schweine“ lautet der Titel eines Songs der „Ärzte“ aus dem Jahr 1998, „Ein Mann fühlt sich erst dann als Mann, wenn er es dir besorgen kann“ eine Textzeile daraus. Ich erinnere mich gut daran, wie ich damals beim Refrain mitjohlte und mir dachte, ja so ist es.

Ich war eine jener zornigen, jungen Frauen, die sich vom anderen Geschlecht missverstanden und schlecht behandelt fühlten. Zu oft hatte ich es erlebt, dass Männer mich auf der Straße anmachten oder sich im vollbesetzten Bus an mich pressten. Mehr als einmal schrie ich wildfremde Männer, die einen plumpen Annäherungsversuch gemacht hatten, genervt an. In Gesprächen mit meinen Freundinnen, in denen es oft um unsere schlechten Erfahrungen mit Männern ging, fühlte ich mich in meiner Meinung bestätigt. Irgendwann begann es mir jedoch zu dämmern: Solange ich mit dieser „Alle Männer sind Schweine“- Attitüde auf einen Mann zugehe, werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit von ihm enttäuscht werden. Und so geschah es auch, nur allzu oft traf ich Männer, die mich nicht respektierten und mich bald fallen ließen. Im Laufe der Jahre lernte ich, mich selbst wert zu schätzen – und siehe da, ich lernte Männer kennen, die mich respektvoll behandelten.

Dennoch kann ich es nachvollziehen, wenn Frauen gereizt auf männliche Verhaltensweisen wie das sogenannte manspreading reagieren (Männer, die in öffentlichen Verkehrsmitteln mit weit gespreizten Beinen dasitzen). Auch bei meiner Tochter wächst gerade das Bewusstsein für solch typisch männliches Verhalten. Neulich im Hallenbad erzählte sie mir, dass sie einen Mann beobachtet hätte, der mit seinen Blicken einer Frau durch die gesamte Schwimmhalle gefolgt war. Sie findet so etwas „creepy“. In solchen Fällen beschwichtige ich sie: Solange es nur Blicke seien, gäbe es keinen Grund zur Aufregung. Ich tue mein Bestes, um ihr Selbstbewusstsein  zu stärken und ermutige sie, Grenzen zu setzen. Aber natürlich weiß ich, wie sie sich fühlt, ich habe mir im Laufe der Jahre antrainiert, anzügliche Blicke zu ignorieren und mich gegen plumpe Anmache zu wehren. Das hat irgendwann zum Erfolg geführt, mich aber auch hart gemacht. Diese Härte scheint der Preis für selbstbewusste und erfolgreiche Frauen zu sein. Denn auch beruflicher Erfolg, der oft bedeutet, sich im Mitbewerb durch zu setzen, und nebenbei womöglich noch Kinder und Haushalt zu managen, erfordert viel Kraft und Zähigkeit. Diese Härte wiederum steht uns Frauen dabei im Weg, uns mit unserer urweiblichen Seite zu verbinden. Mit zunehmendem Alter spüre ich, dass ich den Weg zurück zu diesem weichen, nachgiebigen Teil in mir suche.

Wenn es darum geht, der männlichen „Platz da, jetzt komm ich“-Haltung etwas entgegen zu setzen, sind wir Frauen gefordert, zu eben dieser weiblichen Urkraft zurück zu finden. Das bedeutet nicht, dass wir uns unterordnen oder uns kleiner machen als wir sind (was leider viel zu oft passiert). Es bedeutet auch nicht,  uns männliche Verhaltensweisen anzutrainieren oder gar Machtkämpfe auszutragen. Wer will schon sein wie jene machthungrigen Männer, die es nicht ertragen, wenn ihnen die Kontrolle entgleitet? Die um sich schlagen – oft auch verbal – wenn ihnen der Boden, auf dem sie all ihr Machtgebaren einzementiert haben, unter den Füßen weggezogen wird? Als Folge der metoo-Debatte ist neuerdings zu hören, dass Männer Bedenken hätten, alleine mit einer Frau in den Lift zu steigen oder – erst kürzlich gelesen – einer Frau in einer Notsituation zu helfen. Aus Angst, im Nachhinein fälschlicherweise eines Übergriffes bezichtigt zu werden. Oder von Männern, die nicht mehr wissen, ob und wie sie mit einer Frau flirten dürfen. Dabei wäre es so einfach: ein klein wenig Hinspüren reicht aus, um zu wissen, ob eine Frau interessiert ist. Ja, es mag Frauen geben, die aus Geltungs- oder Rachsucht Männer einer Tat beschuldigen, die nie passiert ist. Meine Erfahrungwerte sagen mir jedoch, dass das eine Minderheit ist und die allermeisten Übergriffe Frauen gegenüber tatsächlich passiert sind – und passieren. Der Umkehrschluss würde lauten: Ich steige in keinen Lift mehr, in dem sich ein Mann befindet – weil ich schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht habe. Ich weigere mich jedoch, alte Ängste mit mir herumzutragen und habe mich dazu entschlossen, den Menschen grundsätzlich zu vertrauen – und es funktioniert!

Ich habe lange genug Machtkämpfe ausgetragen, auch in meinen Beziehungen, um zu wissen, dass es letztendlich darum geht, Frieden mit mir selbst zu schließen. Der Panzer, den ich mir im Lauf der Jahre zugelegt habe, beginnt zu bröckeln. Ich bin froh, einen Mann an meiner Seite zu haben, von dem ich lernte, in mich hinein zu spüren und der unserer Tochter in vielerlei Hinsicht Vorbild ist. Mein Sohn hat sich zu einem feinfühligen jungen Mann entwickelt, dem respektvolle Beziehungen am Herzen liegen. Mehr und mehr wird mir klar: Wir Frauen können lernen, in unserer männerdominierten, auf Konkurrenz ausgerichteten Gesellschaft zu unseren weiblichen Qualitäten zurück zu finden und auf unsere innere Stärke zu vertrauen – und damit Männern ein Vorbild sein.  Dann wird es vielleicht – hoffentlich nicht in allzu ferner Zeit – ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Mann und Frau geben.

Das Leben feiern

Es wird Zeit, dass wir Frauen damit aufhören, uns über unser Aussehen zu definieren. Es gibt so viel Wichtigeres im Leben, als Kilos zu zählen!

Ich muss um die siebzehn gewesen sein, als es mir dämmerte: dünn zu sein ist erstrebenswert. Lange Zeit hatte ich mich als zu mager, zu wenig weiblich empfunden. Bis ich meinen ersten richtigen Freund hatte und der mich gut fand – genauso, wie ich war. Ich begann, mich über meinen Körper zu definieren und bezog mein Selbstwertgefühl forthin aus der Tatsache, dass Männer mich attraktiv fanden. Das traf sich gut, denn in meinem Inneren blieb ich schüchtern und unsicher, daran änderte auch der scheinbar perfekte Körper nichts. Zur Bewunderung der Männer kam der Neid des eigenen Geschlechts: jahrelang bekam ich Kommentare zu meiner Figur zu hören, oft untergriffig und respektlos, immer von Frauen. Und ich lernte viele kennen, die mit ihrem Aussehen haderten: Freundinnen, die sich zu dick fanden, obwohl ich keinen Gramm zu viel an ihnen entdecken konnte. Die beste Freundin, die immer mehr an Gewicht verlor – bis ich herausfand, dass sie magersüchtig war.

Ich gebe zu, dass ich es gut getroffen habe: Ich kann essen, was ich will, ohne zu zu nehmen, war nie auf Diät, benutze keine Waage. Warum soll es wichtig sein, mein Gewicht zu kennen, solange ich mich wohl in meiner Haut fühle? Doch auch bei mir gab Zeiten, in denen ich mit meinem Äußeren nicht zufrieden war. Bis ich zu dem Schluss kam: Ich bin jenseits der 40, habe zwei Kinder geboren, muss ich aussehen wie ein Supermodel? Heute fühle ich mich wohl mit mir und meinem Körper, doch das war ein langer Weg. Es brauchte Jahre, bis ich kapierte: äußere Schönheit ist nichts wert, wenn du dich innen drin nicht leiden kannst. Und auch heute ertappe ich mich hin und wieder dabei, wie ich andere Frauen kritisch mustere und vorschnell ein Urteil fälle, alleine wegen ihres Aussehens. Dann mache ich mir bewusst, wie sehr wir vom Schönheitsideal beeinflusst werden, das die Werbung oder Hollywood uns vorgibt. All diese makellosen und scheinbar alterslosen Schönheiten – sind sie wirklich das Maß aller Dinge? Wie kommt es, dass wir Frauen uns auf unsere Körper reduzieren lassen und bei diesem Irrsinn mitmachen? Hin und wieder begegne ich Frauen (und Männern) mit einer besonderen Anziehungskraft, die nichts mit perfekten Proportionen zu tun hat. Es sind Menschen, die ein Strahlen in den Augen haben, die wissen, was sie wollen und sich nicht darum kümmern, was andere von ihnen denken. Oder ältere Menschen, die dieses gewisse Etwas haben und in sich ruhen – Menschen, die zu ihrem Alter stehen können. „Wo sind wir als Gesellschaft so falsch abgebogen, dass wir das Altern als etwas Schlechtes ansehen?“ fragt  Taryn Brumfitt, die in ihrer Doku „Embrace“ den vorherrschenden Jugend- und Schönheitswahn aufs Korn nimmt.

Es wird Zeit, dass wir Frauen damit aufhören, uns über unseren Körper zu definieren und uns stattdessen unserer Stärken besinnen – und beginnen, das Leben zu feiern! Es gibt so viel Wichtigeres als Kilos zu zählen und sich ein Schönheitsideal überstülpen zu lassen. Wollen wir wirklich unseren Töchtern vermitteln, dass sie nicht gut genug sind, nur weil sie keine Modelmaße haben? Wollen wir es zulassen, dass Mädchen sich über ein Körperbild definieren, bei dem eine Lücke zwischen den Oberschenkeln (Thigh Gap) als erstrebenswert gilt? Auch der aktuelle Trend, mollige Frauen hoch zu stilisieren, ist nur ein weiterer Auswuchs weiblicher Körperfixiertheit. Ich glaube, dass wir damit aufhören müssen, den weiblichen Körper zum Thema zu machen, egal ob dick oder dünn. Denn wir Frauen sind viel mehr als das.

Der weibliche Hang zum Perfektionismus

In einer Umfrage des Frauenministeriums gaben zwei Drittel der befragten Frauen an, täglich weniger als eine Stunde Zeit für sich selbst und ihr Wohlbefinden zu haben. Bei Männern machte nur jeder Zweite diese Angabe. Die Frauenministerin schließt daraus: „Vieles, das Frauen selbstverständlich für Familie und Haushalt tun, geschieht auf Kosten ihrer eigenen Freizeit“ und appelliert an die Männer, ihre Frauen mehr zu unterstützen.

Genauso wichtig wäre es jedoch, an die Frauen zu appellieren, sich selbst und ihre Bedürfnisse wichtiger zu nehmen und mehr Zeit für sich einzufordern. Denn Frauen neigen dazu, es allen außer sich selbst recht machen zu wollen, was dazu führt, dass sie sich permanent überfordern. Sie glauben, in allem perfekt sein zu müssen: im Job, bei der Kindererziehung, im Haushalt. Aber mal ehrlich: ist es wirklich notwendig, den Kindern am Abend ein warmes Essen zu zu bereiten, wenn sie bereits mittags in Kindergarten oder Schule verköstigt wurden? Muss die Küche zu jeder Tageszeit aussehen wie dem Ikea-Katalog entsprungen? Und kann die schmutzige Wäsche nicht auch noch bis morgen oder vielleicht sogar bis zum Wochenende warten? Frauen machen sich selbst das Leben oft schwerer als es sein müsste; immer mehr leiden an typisch weiblichen Symptomen wie Migräne oder PMS, zwei Drittel der von Depressionen Betroffenen sind Frauen. Denn natürlich wollen sie nicht nur im Job und zuhause funktionieren, sondern sie stellen auch noch den Anspruch an sich selbst, jederzeit freundlich und nett zu sein, und gängigen Schönheitsidealen zu entsprechen. Wo bleibt da die Zeit für Entspannung und Muße?

Natürlich könnten ihre Frauen ruhig noch mehr unterstützen. Doch besteht dabei die Gefahr, dass diese Hilfe gar nicht ankommt – weil viele Frauen ihre ganz eigenen Vorstellungen davon haben, wie die Wohnung geputzt, die Wäsche gebügelt oder die Kinder erzogen werden müssen. Und solange Frauen ihrer Umwelt vermitteln, dass sie stark genug sind und keine Hilfe benötigen, werden sie wohl auch keine bekommen.

 

Verantwortung ist weiblich

Die Teilzeitquote ist bei Frauen in den vergangenen zwei Dekaden stetig angestiegen. 1990 lag sie bei 20,2 Prozent, 2000 bei 33,2 Prozent, 2010 arbeiteten bereits 44,3 Prozent aller erwerbstätigen Frauen in Teilzeit, das sind mehr als 700.000. Vor allem  Frauen mit Kindern unter 15 Jahren betrachten Teilzeitbeschäftigung oft als die einzige Möglichkeit, neben den Betreuungsaufgaben einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Das Problem mit der Teilzeitarbeit: Die Bezahlung reicht oft nicht zum Überleben aus, ein Karriereaufstieg wird fast unmöglich und in der Pension fehlen Teilzeitbeschäftigten wertvolle Versicherungszeiten. Was außerdem auffällt: Teilzeitkräfte verdienen für die gleiche Arbeit weniger als Vollzeitkräfte, in manchen Branchen sind es bis zu drei Euro Unterschied beim Bruttostundenlohn.

Es wird also Zeit, dass die Rollen neu verteilt werden – immer noch sieht sich hierzulande ein Großteil der Väter als Haupternährer und viele Mütter fühlen sich alleine zuständig für die Kindererziehung. Und daran ist nicht nur das viel zitierte Problem schuld, dass Frauen im allgemeinen weniger verdienen als Männer. Oder der Mangel an Kinderbetreuungsplätzen. Meiner Meinung nach geben viele Frauen nur zu gerne die finanzielle Verantwortung an ihre Männer ab und fügen sich in die Rolle der Mutter und Teilzeitarbeiterin. So manche vielleicht auch aus Mangel an Selbstvertrauen und fehlender beruflicher Perspektiven. Das überhöhte Mutter-Ideal, das hierzulande vorherrscht, tut sein übriges.

Natürlich bräuchte es auch eine Veränderung unserer Arbeitswelt: flexiblere Arbeitszeiten, mehr Arbeit von zuhause aus – dann könnten Frauen und Männer sich die Kinderbetreuung besser aufteilen. Familienrechtsexpertin Dr. Helene Klaar meint in einem Interview mit diestandard.at: „Es sollte für beide eine dreißig Stunden-Woche geben. Dann könnten sich beide Elternteile um die Kinder und Haushalt kümmern und beide ihren Berufen nachgehen. Das größte Problem für die Familien ist die kapitalistische Produktionsweise. Die Leute schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu, in Wirklichkeit kann aber niemand 40 Stunden oder mehr arbeiten und sich gleichzeitig um die Kinder kümmern, ohne Verlust jeglicher Lebensqualität.“

Welch hohen Stellenwert Väter für ihre Kinder haben, macht der Psychologe Dr. Wolf Dietrich Zuzan deutlich: „Väter sind in jedem Alter für ihre Kinder wichtig, besonders aber ab einem Alter von 10 oder 11 Jahren – hier sind sie vor allem zuständig für die Ausbildung des Selbstwertgefühls. Man muss die Familie als ein Beziehungsgeflecht sehen, in dem alle Beteiligten Einfluss aufeinander haben. Wenn der Vater abwesend ist, ist dieses Beziehungsgeflecht gestört und die anderen Partner müssen die Abwesenheit kompensieren, was nicht immer gelingt. Das kann zu Fehlentwicklungen beim Kind führen.“ Angesichts der großen Zahl an Wochenend-Vätern und Alleinerzieherinnen eine nicht unwesentliche Information..

Auch wenn es ein langer Weg zu gerechter Rollenverteilung und familienfreundlichem Arbeitsmarkt sein mag: es wird Zeit, dass Frauen sich mehr zutrauen, mehr Verantwortung an die Väter abgeben und diese wiederum mehr Verantwortung für ihre Kinder übernehmen. Nicht nur in finanzieller Hinsicht.

Was Frauen wollen

Es wird soviel polemisiert und diskutiert über die Gleichstellung der Frau, dass die Gefahr besteht, zu vergessen, worum es dabei wirklich geht. Für viele Frauen ist Feminismus gleichbedeutend mit einem täglichen Kampf um Gleichberechtigung, wogegen das Wort feminin in unserer Gesellschaft gleichgesetzt wird mit weiblich, im Sinne von zart, schön, attraktiv. Und meilenweit entfernt von kämpferisch. Kann feminin und Feminismus also überhaupt zusammen passen? Und wofür kämpfen wir Frauen eigentlich? Geht es wirklich nur noch um Gleichberechtigung – oder vielmehr um das Recht, über das eigene Leben bestimmen zu können?

Die Debatte rund um den Feminismus scheint unsere Gesellschaft zunehmend in zwei Lager zu spalten: diejenigen, die sich für die Gleichberechtigung der Frau stark machen und das Gegenlager, das sich für eine „neue Weiblichkeit“ einsetzt, sprich: Frauen sollen sich ihrer ursprünglichen Bestimmung besinnen, nämlich Kinder in die Welt zu setzen. Mit zunehmender Polarisierung übersehen all diese streitbaren Frauen gerne, dass es zwischen den beiden Polen noch unendlich viele Varianten gibt und die meisten Frauen einfach nur versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen.

Denn wenn wir ehrlich sind, können wir es sowieso niemandem recht machen: Wenn eine Frau sich von ganzem Herzen dazu entschließt, zuhause zu bleiben, um für die Familie da zu sein, bekommt sie den wenig schmeichelhaften Stempel „Nur-Hausfrau“ aufgedrückt.  Frauen, die sich für Karriere und gegen Kinder entscheiden, werden gerne in die Schublade „karrieregeile Mannsweiber“ gesteckt. Immer mehr Frauen, die versuchen, alles unter einen Hut zu bringen, die sich morgens bis abends mit einem schlecht bezahlten Teilzeitjob, anspruchsvollen Kindern, einem noch anspruchsvolleren Partner und, nicht zu vergessen, Staubsaugern und Küchengeräten, herumschlagen, schrammen tagtäglich knapp am Burn Out vorbei. Und wer bestimmt eigentlich darüber, was eine gute Mutter ist? Die deutsche Sprache ist die einzige, in der das Wort „Rabenmutter“ existiert.

Die einzige Lösung für uns Frauen bleibt, es uns selbst recht zu machen, statt allen anderen. Dazu müssen wir natürlich erst wissen, was wir wollen, und das ist wahrscheinlich die größte Hürde. Denn wir sind ständig hin- und her gerissen zwischen all den Möglichkeiten, die wir heutzutage haben, zwischen dem Wunsch, uns selbst zu verwirklichen und dem Anspruch, ein angepasster Teil der Gesellschaft zu sein. Schön wäre, wenn jede Frau für sich selbst bestimmen dürfte, welchen Weg sie gehen möchte, ohne sich dafür vor irgend jemandem rechtfertigen zu müssen. Erst dann wären wir wahrlich gleichberechtigt. Aber solange uns in unserer Gesellschaft suggeriert wird, dass frau schlank, schön und jugendlich, also feminin zu sein hat, und die Frauen dabei in ständiger Konkurrenz zueinander stehen, sind wir sowieso noch weit entfernt vom Ziel des Feminismus: nämlich als Frau, egal ob dick oder dünn, schön oder durchschnittlich, unseren Weg zu gehen.

 

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